Wenn über Klaus Theweleits Männerphantasien (1977/1978) gesprochen wird, so geht es immer wieder um die unkonventionelle Form des Buches. Der Text, heißt es, sei »alles andere als linear oder aus einem Guss geschrieben«, und wird als »[l]aunig assoziativ« empfunden; der »collagenhafte Stil« der Studie sei »freilich gewöhnungsbedürftig«, heißt es in einer Rezension in der Süddeutschen Zeitung. In der Jungle World ist von einem »collagenartige[n] Konvolut von länglichen Zitaten« die Rede, was auch immer das sein soll und die den Rezensenten zur Feststellung bringen: »lesen im herkömmlichen Sinne des Wortes« lasse sich das Buch »schwerlich.«
In der gegenwärtigen Wiederentdeckung des Buches macht sich niemand die Mühe, genau nachzuvollziehen, was bei der Lektüre eigentlich passiert. Stattdessen werden pauschalisierende Interpretationen unternommen, die Männerphantasien als »Ausdruck« der »linksalternativen Szene« der späten 1970er Jahre lesen und den Erfolg eben auf den Einsatz ›unkonventioneller‹ Formen zurückführen.
Gisela Stelly Augstein ist einer der ersten Versuche zu verdanken, die Irritation zu benennen. Sie bringt die Schreibweise Theweleits in die Nähe zu filmischen Verfahren. In der ersten Rezension von Männerphantasien 1978 in der Wochenzeitung Die Zeit umschreibt sie ihre Wahrnehmung des Textes mit Hilfe des Begriffs der
»Überblendung«:
»Der Vorgang erinnert an eine Überblendung im Film: Langsam erscheint hinter dem ersten Bild ein anderes, überdeckt das erste Bild.«
Stellys Beobachtung wird durch meine Lektüreerfahrung des letzten Kapitels von Band 1 (»Frauen, Fluten, Körper, Geschichte«) von Männerphantasien mit dem Titel »Damm und Fluß – das Ritual der Massenaufmärsche« bestätigt.
Das Kapitel beinhaltet eine Analyse der Bedeutung des Rituals des Massenaufmarschs im Nationalsozialismus.
Ausgangspunkt ist die Beschreibung eines Fahneneinmarschs im Niederelbischen Tageblatt von 1937. Darin beobachtet Theweleit, dass die eigentlich mit Gefahr und Abwehr konnotierten Phänomene wie »Fließen« und »Strömen« vom Berichterstatter positiv, ja nahezu erregend wahrgenommen werden.
Theweleit fragt: »Worin liegt das Erregende?“
Stark verkürzt argumentiert Theweleit im Text psychoanalytisch, dass der Massenaufmarsch eine »öffentliche Inszenierung des Verbotenen« darstellt. »Der Faschismus«, schreibt Theweleit, »übersetzt […] innere Zustände in riesige äussere Monumente.« Die fließende Masse der Soldaten in homogenen Blöcken ist für Theweleit der erlaubte Ausdruck für das verbotene und unterdrückte Unbewusste bzw. das Weibliche.
Welche Bilder montiert Theweleit in den Text?
Ich blättere auf Seite 554. Auf der linken Seite blicke ich über die Schulter eines Mannes über ein gigantisches Feld, auf dem säuberlich aufgereiht eine Truppenformationen zum Stehen kommt. Beim Mann handelt es sich um Adolf Hitler und das Ereignis scheint einer der Massenaufmärsche zu sein, die Theweleit im Text thematisiert.
Das nächste (und letzte) Bild dieses Kapitels steht ebenso auf der linken Seite. Wir sehen Eva Braun, die auf einer Bank in einem gepunkteten schwarzen Kleid Platz nimmt.
Wir sehen also einen Mann, Adolf Hitler, der auf einen Massenaufmarsch blickt. Blätter ich weiter erscheint dahintern einem Ganzkörporträt eine Frau, Eva Braun. Ihr gepunktetes Kleid nimmt motivisch die einzelnen Soldaten der Formation auf.
Folgt man Stelly und stellt sich die Bilderabfolge als Überblendung vor, dann erkennt man, dass Theweleits Argumentation technisch wie inhaltlich auf visueller Ebene eine Entsprechung findet. Im Verfahren der Überblendung findet die These, dass hinter der Erregung über das Strömen und Fließen der Masse in Blöcken das unterdrückte Begehren nach dem Weiblichen steht, eine Übersetzung.
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© Philipp Goll 2021